Die meisten Anmeldungen verzeichnet ein Fitnessstudio zu Jahresbeginn. Es ist eine sehr deutsche Eigenheit, erst aufs Krasseste zu verlottern, um in der Silvesternacht mit Neujahrsvorsätzegelalle die Stählung all dessen anzukündigen, was da hängt, schlafft, wabbelt. Ein Januar im Fitnessstudio bedeutet folgerichtig den absoluten Körperhorror, ein Orchester aus Schnaufen und Schnappatmen. Man wähnt sich ob all der Beleibten, Kaputten und Rückenkranken wie in einer Zombieserie, The Walking Fat. Waren doch auch mal Menschen, denkt man und glaubt sich nicht, will Mitleid haben, schafft das nicht, will so bloß nie werden, ist aber schon auf bestem Wege dahin.
Im Aufnahmeprozedere offenbart sich schon, wie die Mitgliedschaft verlaufen wird: Man ruft das Studio seiner Qual an und vereinbart einen ersten Termin, den man dann jobbedingt absagt. Den zweiten Termin erfragt man nur noch per Mail und nimmt ihn wieder nicht wahr, diesmal grundlos. Wochen ziehen ins Land und auf die Hüfte. Bis bei einer Party Freunde mit Blick zum Bauch grinsen, dass es da aber jemandem gut gehe, woraufhin es einem sehr schlecht geht und man unangekündigt doch noch im Fitnessstudio aufschlägt.
Ende 2015 waren in Deutschland 9,46 Millionen Menschen Mitglied in einem Fitnessstudio. Das sind laut einer Studie 4,2 Prozent mehr als 2014. Wie oft die Mitgliedschaft nur Entschuldigungsfunktion einmal anmelden, niemals hingehen erfüllte, wurde nicht erhoben.
Der Umsatz der Fitness- und Gesundheitsbranche hierzulande wuchs insgesamt auf 4,8 Milliarden Euro. 2020 wird Prognosen zufolge auch die Zwölf-Millionen-Mitgliedermarke geschafft. Und so kann man sich, der man gerade japsend vom Crosstrainer steigt, einreden, dass man einen Boom erlebt, mitboomt sozusagen, ja, wenigstens das.
Irgendwann entspannt sich die Sitaution im Studio. Die Mehrheit der oben schon Genannten hat ihre Mitgliedschaft unter Androhung rechtlicher Schritte storniert oder sitzt ihren Knebelvertrag, zwei Jahre Mindestlaufzeit, auf dem Sofa aus. Die Übriggebliebenen meinen es offenbar ernst und sind zu akzeptieren, in ihrer Überschaubarkeit auch zu verkraften. Endlich hat man wieder Gelegenheit, auf die Details zu achten.
Man sieht zum Beispiel, wie einer der Neuen, zu erkennen am noch preisbeschilderten Active-Fit-Funktionsshirt, mit dem Studiotrainer eine gemeinsame Trainingsstunde absolviert. Die Stunde ist aber auch schon alles, was beide gemeinsam haben, ansonsten herrscht klare Hierarchie: Der Trainer ist Gott, hält sich jedenfalls dafür, und der Trainierte ein Idiot, dafür sorgt der Trainer. Toll hierbei, wie sich beide gleichermaßen verachten: der Trainer den Neuling für dessen Körper, oder das, was davon übrig ist, der Neue den Trainer dafür, sein Umfeld auf Oberfläche zu reduzieren, prekär zu verdienen und das Minimalsalär in Muskelaufbaupräparate zu investieren.
Womit wir an der Bar angekommen sind. Bar klingt erst mal gut, nach Freiheit, Kontrollverlust und Exzess, dem Leben also, das man vor dem Fitnessstudio geführt hat. Im Fitnessstudio meint die Bar leider das Gegenteil all dessen. Hier kauft man Produkte, die extrem komplizierte Namen haben: den "Body Attack Carb Control"-Riegel mit 45 Gramm Eiweiß, den "Cereal Energy Bar Plus" mit Magnesium, den "Low Carb Booster" in Schoko-Banane. Oder, zum Trinken, einen "Multipower Platinum Protein 90"-Shake, den "All in One Universal Muscle Shake", das "Now Soy Protein Isolate". Feilgeboten werden diese Produkte von Menschen, die sehr gut aussehen, was, wie sie einem erklären, wesentlich auf den Konsum ebendieser Riegel und Getränke zurückzuführen ist. Man hat es mit einer in sich geschlossenen Verkaufslogik zu tun und frönt fortan selbst der Bar. Was immerhin Kontrollverlust bedeutet. Wie früher, im alten Leben.
Geboostet und multigepowert an die Geräte! Aber an welche? Obwohl die Auswahl immens ist, stehen alle wieder nur am Ruderzug an. Es ist dies der "House of Cards"-Effekt.
Stattdessen zum Laufband, das wenigstens Aktivphilosophie verspricht: Man läuft, läuft, läuft, ohne je ein Ziel zu erreichen. Man denkt an Sisyphus, an Camus, der das moderne Work-out mitgedacht hat: Man muss sich den Fitnessfanatiker als glücklichen Menschen vorstellen.
Auf dem Nachbarlaufband und sowieso in jeder Muckibude anzutreffen: der intellektuelle Pumper, männlich, Halbglatze, Mitte fünfzig. Der intellektuelle Pumper bettet vorne auf die Laufbandablage ein Magazin ("Spiegel") oder die Zeitung ("FAS") als demonstrative Geste, in der sich ausdrücken soll, dass hier einer nicht nur was für seinen Körper tut, sondern auch für den Kopf. Dem intellektuellen Pumper ist nicht klar, wie saudämlich das wirkt, er merkt nicht, dass ihn alle begrinsen, wie auch, er gibt ja zu lesen vor, beim Laufen. Solltest du das lesen, intellektueller Pumper aus meinem Fitnessstudio: Ich habe gemerkt, dass dein "Spiegel" neulich falsch herum lag, du also überhaupt nicht darin gelesen haben konntest! Ha!
Schön auch die Herren, Jahrgang 64 und älter, die sich an Studentinnen, Jahrgang 88 und jünger, rankumpeln. Mit einem "Na, wie läuft’s denn so?" biegen sie die Fitnessstudiostandardbegrünung aus verstaubten Yuccapalmen beiseite, und leider sind die Gefragten zu höflich, um "LASS MICH IN RUHE, DU SCHWEIN!" zu schreien, stattdessen antworten sie irritiert, was diese Herren gleich denken lässt, dass sie jetzt gerade geflirtet, es demnach immer noch draufhaben. Am Abend fahren sie in ihre Doppelhaushälfte zurück, sprengen noch den Rasen, polieren die Benzfelgen und dann ohne Sex ab ins Bett. Aber sie könnten ja, das haben sie sich bewiesen.
Frauen fällt flirten im Fitnessstudio leichter als sonst, weil das Areal zwischen Bauchmuskelmaschine und Umkleide ein Hemmschwellensenker ist. Eine Käseglocke der Intimität, unter der alle Schwächen ausgelotet und ausgestellt werden. Die Leute ziehen beim Trainieren des Latissimus Grimassen, die sie sich sonst nur beim Sex getrauen. Sie stöhnen an der Beinpresse, als gelte es, einen schmerzhaften Orgasmus zu ertragen. Fitnessstudio, das ist wie Pornokonsum: Sex ohne Sex.
Die höchste Fitnessanlnagedichte (Stadtstaaten ausgenommen) übrigens im Saarland, mit im Schnitt 12,2 Anlagen auf 100 000 Einwohner, die geringste in Sachsen-Anhalt, da nur 6,2 Anlagen. Das geht aus einer Statistik des Arbeitgeberverbandes deutscher Fitness- und Gesundheitsanlagen hervor.
Unterlegt wird das Schweissspektakel von einem Soundteppich der Hölle: Radiopop, Sommerhits aus dem Vorjahr sowie „das krasse Elektro-Mash-up“ , das vom Smartphone auf die Boxen zu streamen dem Fitnesspraktikanten leider niemand ausreden konnte. Unbeeindruckt von der Soundkulisse stehen die Pumper vor der voll verspiegelten Hantelwand und machen da etwas, das man ihnen erst mal gar nicht zutrauen würde: sie definieren. Allerdings nicht Adornos Kritische Theorie oder den erweiterten Kunstbegriff nach Beuys, sondern sich selbst. Man kann beobachten, wie sie sich dabei beobachten, damit ist wieder eine amüsante halbe Stunde totgeschlagen so man sich dabei nicht erwischen lässt, sonst wird man vielleicht selbst totgeschlagen.
Man selbst geht natürlich anders vor: sich selbstbewusst dem Latzugturm nähern, das voreingestellte Gewicht prüfen, kurz auflachen und es, sobald einer der Stiernacken vorbeieiert, hundertkilowärts verschieben. Ist der Schrank hinfort, flugs zurück in den bewältigbaren Bereich unter zwanzig Kilo stellen. Fünf Minuten ziehen. Dann nach Hause gehen, im guten Gewissen, etwas geschafft zu haben, sich selbst vor allem.
Du findest, am Ende dieser Liste angekommen, dass vieles klischiert wurde? Dass ein Fitnessstudio doch längst nicht mehr Prollprotektorat ist, sondern modern, hell und schön? Dass Trendkurse wie Elektrostimulationstraining oder Power-Yoga fehlen? Dass heute niemand mehr pumpen geht? Wenn du so denkst, hast du bewiesen, dass du schon sehr lange nicht mehr im Fitnessstudio warst.
Dieser Artikel ist erstmals in der NEON Ausgabe 11/2016 erschienen.
© G+J Medien GmbH